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Soziale Landwirtschaft
mit Menschen mit Suchterkrankungen


Überblick

Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass Sucht eine Krankheit des Körpers und des Gehirns ist und keine psychische Störung oder Wahl eines bestimmten Lebensstils. Die Ursachen, aber auch die Auswirkungen von Sucht sind vielfältig und komplex. Physische (biologische, genetische), psychologische und soziale Faktoren spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Entwicklung einer Sucht. Alle substanzbezogenen Suchterkrankungen gehen mit psychischer und eine physischer Abhängigkeit einher, wobei deren Wechselwirkungen sich gegenseitig verstärken. Die Auswirkungen auf die Person sind ebenfalls vielfältig, was den Genesungsprozess zu einer komplexen und herausfordernden Reise macht.


Suchtauswirkungen

ein starker Wunsch, die süchtig machende Substanz zu beschaffen und einzunehmen
tendenziell ansteigender Konsum (erhöhte Toleranz)
Schaden für den Einzelnen und für die Gesellschaft
psychologische und vor allem physische Abhängigkeit
Kontrollverlust über das eigene Verhalten


Weitere nützliche Informationen über Sucht und deren Auswirkungen finden Sie online:
https://www.psychiatry.org/patients-families/addiction-substance-use-disorders/what-is-a-substance-use-disorder (American Psychiatric Association) https://www.dhs.de/ (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.)


Mehrwert der Sozialen Landwirtschaft für Menschen mit Sucherkrankung


Welche Tätigkeiten?

Fokus auf klare Aufgaben und das ‘Erledigen der Arbeit’
Relativ einfache Aufgaben mit einem klaren Anfang, einer Mitte und einem Ende zu erledigen, sind gut geeignet, damit Menschen Selbstvertrauen schöpfen und mehr an sich selbst glauben können. Es kann sehr ermächtigend sein, wenn man selbst erkennt, welche Art von Arbeit man ohne Drogen oder Alkohol erledigen kann.

Nähe zur Natur
Bieten Sie im Alltag Raum und Zeit, um in Kontakt mit Pflanzen, Tieren und Natur zu kommen. Auch natürliche Elemente, wie Wald oder Flüsse, Klänge, Gerüche oder das Fühlen der Natur sollten möglich sein. Solche Erfahrungen zeigen, wie die Sinne in einem "normalen" Leben, ohne den Einsatz zusätzlicher Substanzen, genutzt werden können.

Harte körperliche und händische Arbeit
Aufgaben, bei denen man ins Schwitzen kommt und bei denen man sich konzentrieren muss, sind von Vorteil. Denn so können Menschen ihren üblichen Gedankenkreisen entfliehen. Aufgaben wie Unkraut jäten, Tiere füttern und Ställe reinigen, die Beteiligung an der Stroh- und Heuernte, das Ernten von Gemüse sind Beispiele für sinnvolle Aktivitäten.

„Für einen Suchtkranken ist eine erdende Arbeit, im wahrsten Sinne des Wortes, gut. Etwas, wo er wirklich Schmutz unter den Fingernägeln hat. Er muss körperlich und an der frischen Luft arbeiten. Das ist sehr gut für die Genesung und die Seele von suchtkranken Menschen. Im Vergleich dazu ist Arbeit, wo man vor einem Bildschirm gesetzt wird, oder in einem dunklem Keller Dinge zusammenschrauben soll, nicht gut für die Seele.“

Strukturiertes und verantwortungsvolles Arbeiten
Die Zeit auf dem Bauernhof sollte einen geregeltem Rhythmus haben. Dieser orientiert sich an den Jahreszeiten, der Tageszeit, den zu erledigenden Aufgaben und den zugewiesenen Verantwortlichkeiten. Durch diese Regelmäßigkeit wird Menschen ein Rahmen geboten, durch welchen sie besser zurechtzukommen und sich besser fühlen können. So wird, ganz ohne zu belehren, gezeigt, welche Vorteile eine Tagesstruktur und gute Gewohnheiten auf dem Hof und auch darüber hinaus für Menschen haben können.

"Wenn du beispielsweise mit Tieren arbeitest, übernimmst du auch Verantwortung für sie, z.B. wenn du Kälber fütterst oder Schweineställe ausmistest. Indem du Verantwortung für die Tiere übernimmst, lernst du auch wieder, Verantwortung für dein eigenes Leben zu übernehmen. (...) Regelmäßige Routine, gesunde und ehrliche Arbeit, auch früh aufstehen, ein geregelter Tagesablauf..."

Arbeiten mit Tieren
Teilnehmende sagen oft, dass Tiere sie nicht enttäuschen, dass sie "ehrlich" sind. Sie urteilen auch nicht. Es kann sehr vorteilhaft sein, Raum und Zeit für echte Mensch-Tier-Interaktionen zu ermöglichen. Auch das Selbstwertgefühl kann steigen, wenn man konsequent und zuverlässig die Verantwortung für Tiere übernimmt.


Welcher Ansatz?

Geben Sie Zeit, um sich mit dem Ort vertraut zu machen
Der Bauernhof kann in vielerlei Hinsicht eine fremde und ungewohnte Umgebung sein, auch in Bezug auf den Umgang der Menschen miteinander. Die Teilnehmenden sind möglicherweise nicht mit den typischen Abläufen auf einem Hof vertraut. Ihr Tag-Nacht-Rhythmus ist ggf. aus dem Gleichgewicht. Geben Sie eine gute Einführung in den Hof und seine Gepflogenheiten, erklären Sie Regeln und Aufgaben, aber geben Sie Zeit und Raum, damit der Hof auf die Menschen wirken kann und sie ihren eigenen Weg finden können. Es ist besser, kleine Schritte zu gehen, um das Risiko eines Rückfalls zu verringern.

(Vor)verurteilen Sie nicht
Menschen mit Suchtproblemen werden gesellschaftlich oft diskriminiert oder missverstanden. Der Bauernhof sollte ein Raum sein, in dem Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Vergangenheit, als Menschen behandelt werden und eine Chance bekommen. Dies bedeutet nicht, dass Menschen tun und lassen können, was sie wollen. Tatsächlich sollten Sie Menschen genug respektieren, um Verhaltensprobleme anzusprechen, wenn sie auftreten und signifikant sind.

Schaffen Sie Zugehörigkeitsgefühl
Menschen mit Sucherkrankung fühlen sich besonders oft entfremdet von der Gesellschaft, oft auch von ihren eigenen Familien und Freunden. Sie haben häufig das Gefühl, dass ihnen die Menschen nicht vertrauen und sie verurteilen. Es ist sehr wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie wahrgenommen werden, dass sie einen Wert haben und Teil von etwas sind und, dass sie vermisst werden, wenn sie nicht da sind.

"Für diese Gruppe ist es von großer Bedeutung, wenn ihnen Menschen in einem familiären oder häuslichen Umfeld vertrauen. Einer der Teilnehmer sagte zu mir nach dem ersten Tag: 'Ist es nicht großartig, wenn einen die “Normalen” vertrauen?' Er betrachtete sich selbst aufgrund seiner Suchtprobleme nicht als normal. Heroin war seine bevorzugte Droge, und er stammte aus der Innenstadt und hatte keine Erfahrung mit Tieren, außer vielleicht den Pferden in den Wohnsiedlungen. Und der Bauer behandelte ihn einfach wie jeden anderne Menschen. Er war es gewohnt, aufgrund seiner Suchtprobleme und seiner sichtbaren Tätowierungen verurteilt zu werden. Und hier war jemand, der ihn nicht verurteilte und der ihn akzeptierte."

Sorgen Sie für Wärme und Offenheit
Die Freundschaften und die Unterstützung, die im Lauf der Zeit entstehen, sind sehr wertvoll. Manchen Menschen neigen eher dazu sich auf einem Bauernhof zu öffnen, da man dort Seite an Seite zusammenarbeitet. Dabei muss ein Gleichgewicht gefunden werden, zwischen beruflicher Distanz (und somit Abstand zu den Lebensgeschichten und Problemen der Teilnehmenden) und Offenheit und freundschaftlichen Bindungen, die einen großen Unterschied im Leben eines Menschen machen können. Darauf, wie genau man dies tun kann, gibt es keine einfache Antwort. Wichtig ist es zunächst, zu wissen, wie groß die Bedeutung persönlicher Bindungen ist.

"Wen man mit jemandem zusammen arbeitet, kann man viel besser mit ihm ins Gespräch kommen. Das ist eine Art organischer Prozess. Das passiert dann manchmal einfach. Aber du hörst dann nicht einfach mit der Arbeit auf, um das Gespräch zu führen. Daher ist es einfach, das Gesprächsthema zu wechseln, wenn etwas kommt, worüber du nicht reden möchtest. Du könntest dann zum Beispiel sagen: 'Gib mir mal das Werkzeug da rüber', um das Gespräch zu unterbrechen."


Herausforderungen…

Bei der Arbeit mit dieser Zielgruppe kommt es häufig zu folgenden Verhaltensauffälligkeiten:

  • hohe Sensibilität
  • Unsicherheit und Neigung dazu, sich leicht angegriffen zu fühlen
  • Misstrauen gegenüber Anderen
  • Übermäßige Bindung an Betreuer*innen und deren Partner
  • Selbstverleugnung
  • Unsicherheit in Bezug auf die Bedeutung des Lebens und der eigenen Ziele
  • unstrukturiertes Vorgehen und schlechte organisatorische Fähigkeiten

Bei Personen, die seit kurzem „clean“ sind, ist zusätzlich Folgendes möglich:

  • das Gefühl, nirgends dazu zu gehören: Verlustgefühle und Entfremdung von mehreren "alten Leben", einschließlich der sozialen Welt, in der sie sich vor der Genesung befanden
  • Schuldgefühle für früheres Verhalten und die Auswirkungen der Sucht auf Familie, Freunde und die Gesellschaft im Allgemeinen
  • Auswirkungen von Medikamenten, die das Verhalten und die Leistung beeinträchtigen (dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn diese noch nicht richtig eingestellt sind)
  • Angst vor Rückfällen

...und wie man sie angehen kann